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Neue Zürcher Zeitung - NZZ
Pensionierte Ärzte dürfen sich nicht einmal mehr selbst ein Rezept ausstellen.
Jan Hudec – 18.08.2018
Der Kanton Zürich hat die sogenannte Seniorenbewilligung abgeschafft, die es Ärzten im Ruhestand erlaubte, das engste Umfeld medizinisch zu betreuen. Die Senioren sprechen von einem entwürdigenden Umgang und leisten Widerstand.
Publikation mit verdankender Erlaubnis der NZZ am 16.01.2019
Seniorenbewilligung abgeschafft
Die Gesundheitsdirektion schafft die Seniorenbewilligung ab.
Ärzte im Ruhestand dürfen neuerdings nicht einmal mehr sich selbst ein Rezept ausstellen. Die Senioren sprechen von einem entwürdigenden Umgan und leisten Widerstand.
Artikel von Jan Hudec in der NZZ vom Samstag den 18.08.2018
PDF mit verdankender Erlaubnis der NZZ am 16.01.2019

Gaby Igual staunte nicht schlecht, als sie im Mai einen eingeschriebenen Brief der Zürcher Gesundheitsdirektion erhielt. Darin wurde der Ärztin mitgeteilt, dass ihre Seniorenbewilligung nicht mehr verlängert wird. Diese Bewilligung ermöglichte es der 73-Jährigen nach der Aufgabe ihrer Hausarztpraxis, ihre nächsten Angehörigen und enge Freunde medizinisch zu behandeln. Doch damit ist nun Schluss, die Seniorenbewilligung wurde vom Kanton kurzerhand abgeschafft. «Ich empfinde es als staatlichen Übergriff, dass ich nach Jahrzehnten klagloser Arbeit niemanden mehr in meiner Familie betreuen darf und sogar für ein Rezept, das ich für mich selbst brauche, zu einem anderen Arzt gehen muss», sagt sie.
Klein beizugeben, entspricht aber nicht dem Naturell der vifen Seniorin. Mit drei Gleichgesinnten organisiert sie derzeit Widerstand. Einer von ihnen ist Walter Grete, ehemaliger Präsident der kantonalen Ärztegesellschaft und während dreissig Jahren als Hausarzt tätig. Er spricht von einem «entwürdigenden Umgang mit älteren Berufsleuten». Um Gegensteuer zu geben, haben sie deshalb 750 Ärzte im AHV-Alter angeschrieben. 463 von ihnen sind immer noch in einer Praxis tätig, gut 250 haben noch eine Seniorenbewilligung, bei 30 Ärzten wurde diese bereits nicht mehr erneuert. «Die Ärzte drückt das Problem», sagt Grete, «sie zu mobilisieren, war einfach.» Bereits haben über 500 von ihnen einen Brief unterschrieben, in dem gefordert wird, den Entscheid des Kantons rückgängig zu machen.
Unentgeltliche Arbeit
«Wir können einfach nicht verstehen», sagt Igual, «dass man ständig über den Mangel an Hausärzten jammert und dann Ärzten, die sich noch weit über das Pensionsalter hinaus engagieren wollen, ein faktisches Berufsverbot erteilt.» Zwar handle es sich um einen kleinen Beitrag, den die Mediziner mit Seniorenbewilligung leisteten, «aber sie machen die Arbeit kostenlos». Grete erzählt, wie er einem seiner schwerkranken Nachbarn half oder wie die Schwiegertochter einmal nachts anrief, weil ihr Sohn Atembeschwerden hatte. Der erfahrene Hausarzt wusste rasch, was zu tun ist, und verschrieb einen Asthmaspray. Seine Schwiegertochter hätte sonst den Notfall im Spital aufsuchen müssen. «Ich bin zwar nicht mehr im Zenit meines Könnens, aber wohl im Zenit meiner Erfahrung», sagt Grete. Ihm mache es Freude, sein Wissen noch einbringen zu können. Pro Jahr betreut er bis zu fünfzig Fälle. Und das möchte er weiterhin tun, solange er fit ist.
Besonders ärgert die Ärzte, dass sie erst von der Abschaffung der Seniorenbewilligung erfahren haben, als die Sache schon beschlossen war. Im letzten Dezember stand in einer Meldung im Mitteilungsblatt der Zürcher Ärztegesellschaft (AGZ), dass die Bewilligungen, die drei Jahre gültig sind, ab 2018 nicht mehr erteilt würden. Im Vorfeld sei die Ärzteschaft überhaupt nicht nach ihrer Meinung gefragt worden, sagt Igual. «Das stört uns sehr.» Zwar habe ihr Widerstandsgrüppchen nun Gelegenheit gehabt, den Kantonsarzt zu treffen, aber geändert habe sich dadurch nichts.
Die Abschaffung der Seniorenbewilligung begründet der Kanton damit, dass die gesetzlichen Grundlagen diese nicht mehr zuliessen. Das Medizinalberufegesetz, auf das der Kanton verweist, hat sich in dieser Frage allerdings nicht verändert. «Die Abschaffung ist deshalb willkürlich», sagt Grete.Tatsache ist, dass das Gesetz sehr unterschiedlich ausgelegt wird. So kennt der Kanton Thurgau eine Seniorenbewilligung und will daran festhalten, während es diese in anderen Kantonen nie gab. Igual findet, «dass der Staat eigentlich nur regeln sollte, was nötig ist». Im Gesundheitswesen betreffe dies die Sicherheit der Patienten und die Kosten. «Wir Seniorenärzte gefährden aber weder die Sicherheit, noch sind wir eine Belastung für die Gesundheitskosten – im Gegenteil.»
Ein Schlupfloch lässt die Gesundheitsdirektion den Ärzten. In einem Schreiben weist sie die Betroffenen darauf hin, dass anstelle der Seniorenbewilligung eine reguläre Berufsausübungsbewilligung erworben werden könne. Die damit verbundene Gebühr von 250 Franken ist dabei aber das kleinste Problem. Für eine solche Bewilligung müssten die Ärzte im Ruhestand die gleichen Anforderungen erfüllen wie für einen vollen Praxisbetrieb, also pro Jahr 25 Stunden Fortbildung und 30 Stunden Selbststudium nachweisen sowie eine Berufshaftpflichtversicherung abschliessen, die je nach Fachgebiet weit über 1000 Franken kosten kann. Und damit nicht genug: Die Senioren müssten auch Notfalldienst leisten. «Abgesehen davon, dass wir das gar nicht mehr können, sind die Anforderungen völlig unverhältnismässig», sagt Grete.
Keine rechtliche Grundlage.
Die Gesundheitsdirektion rückt trotzdem nicht von ihrer Position ab: «Für eine eingeschränkte Berufsausübungsbewilligung besteht kein Rechtsraum, keine Notwendigkeit und kein Bedarf», schreibt sie auf Anfrage. Auf 2018 hin hat sie ihre Bewilligungspraxis komplett überprüft und ist dabei zum Schluss gekommen, dass die Seniorenbewilligung rechtlich nicht zulässig ist. Das Generalsekretariat der AGZ sei bereits im Juli 2017 über die vorgesehenen Änderungen informiert worden. Die Direktbetroffenen würden zudem drei Monate vor Ablauf ihrer Seniorenbewilligung auf die neue Situation aufmerksam gemacht, so die Gesundheitsdirektion. Überdies habe der Rat eines erfahrenen Arztes «auch ohne kantonale Bewilligung
weiterhin seinen Stellenwert». Josef Widler, Präsident der Ärztegesellschaft, bedauert es, dass der Kanton die Bewilligung abgeschafft hat. «Viele Ärzte wurden damit in ihrer Ehre getroffen.» Warum die Gesundheitsdirektion ihre Praxis geändert hat, obwohl die gesetzlichen Rahmenbedingungen gleich geblieben sind, kann er sich nicht erklären. «Meines Wissens gab es keine negativen Vorfälle.»
Offenbar wolle man nun exakt dem Buchstaben des Gesetzes nachkommen. Die Gesundheitsdirektion habe dem Generalsekretariat der AGZ letzten Sommer ihren Entscheid mitgeteilt, die Dringlichkeit sei aber nicht klar gewesen. «Zu mir ist damals nichts durchgedrungen.» Nun sei ein Gespräch mit dem Kantonsarzt anberaumt, rückgängig machen lasse sich die Änderung aber kaum. «Gegen das Gesetz kann man schlecht argumentieren», sagt Widler. Die Senioren wollen trotzdem weiterkämpfen und auch politisch aktiv werden. Der Kampf soll sich dabei nicht auf den Kanton Zürich beschränken. Man müsse die Sache schweizweit regeln, sagt Grete. In einer Zeit, in der von der Erhöhung des Rentenalters die Rede sei und davon, die Arbeitslust der rüstigen Senioren vermehrt zu nutzen, dürfe man doch den Ärzten keine Steine in den Weg legen.
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